
Wer heute an den Pillnitzer Elbhängen spazieren geht, durch Weinberge streift oder den Blick hinunter auf die Elbe wirft, sieht eine Landschaft, die wie gemalt wirkt. Terrassen ziehen sich die Hänge hinauf, kleine Winzerhäuser liegen verborgen zwischen Bäumen, und oben thront Schloss Pillnitz, einst Sommerresidenz der sächsischen Kurfürsten. Doch hinter dieser Idylle verbirgt sich eine alte Legende – die Geschichte vom Drachen, der einst hier hausen soll.
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Ein dunkler Hüter der Elbe
Die älteste Überlieferung stammt aus dem 16. Jahrhundert. Damals erzählten sich Fischer und Winzer, dass ein gewaltiger Drache in einer Höhle am Elbhang lebte. Er sei so groß, dass seine Schuppen wie Dachziegel glänzten und sein Atem ganze Weinberge versengen konnte. Nachts soll er sich aus der Höhle geschlichen haben, um Wasser aus der Elbe zu trinken – und dabei mit seinem Schwanz die Uferböden aufgewühlt haben.
„Er war kein gewöhnliches Tier, sondern ein Wächter“, sagten die Alten. Ein Wächter der Schätze, die tief in den Hängen verborgen lagen. Manche sprachen von Goldadern, andere von geheimen Schriften, die der Drache bewachte.

Die Angst der Winzer
Für die Winzer war der Drache ein Fluch. Oft erzählte man sich, dass ganze Ernten verdorrten, wenn er nachts über die Felder zog. Seine Augen, so hieß es, glühten wie Kohlen und konnten Pflanzen binnen Stunden verdorren lassen. Manchmal fanden die Leute am Morgen verkohlte Reben – und schworen, den Atem des Drachen gerochen zu haben: schwefelig, beißend, wie ein Feuer tief aus der Erde.
Kinder wurden ermahnt: „Geht nicht in die Nähe der Höhlen! Der Drache holt euch.“ Und wer spätabends vom Feld nach Hause kam, lief schneller, wenn er das Rauschen der Elbe hörte – denn man wusste nie, ob es nur Wasser war oder Flügelschläge im Dunkeln.
Ein Ritter und der Mut der Verzweiflung
Eines Tages, so erzählt die Sage, kam ein Ritter aus Meißen nach Pillnitz. Sein Name war verloren, doch man sagte, er sei jung und stolz, mit glänzender Rüstung und einer Lanze aus gehärtetem Eisen. Die Winzer baten ihn, den Drachen zu vertreiben. In einer Vollmondnacht ritt er den Hang hinauf, begleitet von Männern mit Fackeln. Als sie die Höhle erreichten, bebte die Erde. Ein dumpfes Grollen erschütterte den Fels, und aus der Dunkelheit schob sich das Ungeheuer – größer, als man es sich je vorgestellt hatte. Die Männer flohen, doch der Ritter blieb. Er rammte seine Lanze in die Brust des Drachen, doch die Spitze prallte ab, als sei die Haut aus Stein. Da griff er zum Schwert, schlug, wich den Flammen aus, kämpfte, bis er selbst kaum noch stand. Schließlich, so erzählt man, stürzte er sich mit letzter Kraft auf das Tier und rammte ihm die Waffe tief in den Rachen. Ein Schrei, laut wie ein Donnerschlag, grollte durch das Tal – dann fiel der Drache zu Boden.
Das Erbe des Drachen
Die Winzer jubelten, doch der Ritter war verschwunden. Manche sagen, er sei in den Flammen umgekommen, andere glauben, er sei mit dem Drachen in die Erde gesunken – als ewiger Wächter. Noch heute erzählen ältere Leute, dass man in besonders heißen Sommernächten den Drachen atmen hören könne. Manche Winzer schwören, dass die Wärme, die die Reben am Pillnitzer Elbhang gedeihen lässt, aus dem Inneren der Erde kommt – von der Glut des Drachen, die dort noch immer brennt.
Ein lebendiger Mythos

Die Sage vom Drachen ist nie ganz verschwunden. In Gasthäusern hängen Bilder von feuerspeienden Ungeheuern, und in manchem Märchenbuch taucht die Geschichte wieder auf. Für die Kinder ist es ein Abenteuer, für die Erwachsenen ein Symbol: Der Drache steht für die Macht der Natur, für Zerstörung und Fruchtbarkeit zugleich. Und wenn man an einem Spätsommerabend durch die Weinberge geht, die Sonne tief über der Elbe steht und der Wind warm durch die Reben weht – dann kann man fast glauben, ein Schuppen glänze zwischen den Blättern.
Der Pillnitzer Drache mag eine Legende sein. Doch wie jede gute Sage ist er mehr als eine Erfindung. Er ist das Gedächtnis eines Ortes, die Verkörperung von Angst und Hoffnung – und eine Geschichte, die man nicht vergessen sollte.






